Warum wir mediativ vernetzt sein werden.
Je mehr die Spezialisierung voranschreitet, desto wichtiger wird interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sie ermöglicht, komplexe Lösungen in Bauwerken umzusetzen. Die Fragmentierung im Bauwesen produziert laufend neue Berufsbilder und Fachspezialisten. Deshalb können Architekten und Bauingenieure nur in interdisziplinären Teams innovative Bauten planen und realisieren. Dafür bilden die praxisnahen, kompakten SIA-Normen eine wichtige Grundlage. Auch in der Ausbildung von teamfähigen Bauingenieuren und Architekten ist interdisziplinäre Zusammenarbeit zentral. Eine noch junge Form interdisziplinärer Zusammenarbeit ist Baumediation, die unter Leitung eines Mediators Konflikte auflöst und zukunftsfähige Perspektiven eröffnet. All diese Ansätze tragen zu einer hoch stehenden Baukultur bei.
Spezialisierung im Bauwesen
Als die Bevölkerung von Schaffhausen 1750 die weitgespannte neue Holzbrücke über den Rhein eröffnete, stammten Gestaltung, Berechnung und Ausführung dieses genialen Tragwerks aus einer Hand: Baumeister Johann Ulrich Grubenmann (1709–1783) vereinte alle geforderten Fähigkeiten. Im Laufe der Zeit setzte im Bauwesen die Spezialisierung ein. Architekten zeichneten fortan vorwiegend für Planung und Gestaltung, Bauingenieure für Konstruktion und Bemessung und Zimmerleute für Abbund und Aufrichten zuständig. An den Schnittstellen entstanden weitere neue Funktionen, wie Bauleiter oder Gesamtleiter. Auch im Bereich des Holzbaus setzte sich die Fragmentierung in immer kleinere, neue Fachbereiche fort. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts entstand in Biel die Ingenieurschule für die Holzwirtschaft. Eine weitere Disziplin erblickte das Licht der Welt: der Holzbauingenieur. Damit nicht genug, heute haben wissenshungrige Studierende die Wahl zwischen Lehrgängen und Vertiefungsrichtungen wie Holz-Tragwerke, Bauphysik im Holzbau, Weiterbauen am Gebäudebestand bis zu Digitale Vernetzung im Holzbau. Gleichzeitig ist ein Vermischungsphänomen festzustellen: das Aufweichen der Disziplinarität.
Die Kommunikation unter den am Bau Beteiligten gestaltet sich zunehmend schwieriger. Es droht die Gefahr der (Aus-)Bildung von «Fachidioten». Die Nahtstellen werden grösser, die Abgrenzung wird schwieriger, der Blick fürs Ganze droht verlorenzugehen. Damit komplexe Lösungen und hochspezialisiertes Fachwissen optimal in Bauprozesse einfliessen können, brauchte es neue Fachspezialisten: Vertrauensingenieure, Bauherrenvertreter sowie Moderatoren und Mediatoren nehmen sich dieser interdisziplinären Aufgabe an. Interdisziplinarität ist eine Folge der zunehmenden Spezialisierung. Einzelnen Berufsgruppen schwimmen dadurch die Felle davon, gleichzeitig eröffnen sich neue Potenziale.
Vom Schattenwurf zur Mantelnutzung
Im Lehrplan des Wintersemesters 2000/01 der Hochschule für Technik Zürich stand erstmals das Modul Interdisziplinär Planen & Bauen. Die Studierenden des Bauingenieurwesens staunten nicht schlecht nebst Statik, Grundbau, Wasserbau und Betonbau auch das? Am Beispiel des im Bau befindlichen Pilgerstegs von Rapperswil nach Hurden lernten die Studierenden alle an diesem aussergewöhnlichen Bauprojekt wichtigen Phasen hautnah kennen. Bei Nebel um fünf Uhr morgens erklärte ihnen ein Ornithologe im Schilfgürtel die Auswirkungen, welche die Linienführung des Steges durch das Naturschutzgebiet auf die Vogelwelt haben wird. Später auf dem Floss erlebten sie die Wuchtund Eindringgeschwindigkeit bei der Pfählung der Eichenstifte, auf denen die Holzkonstruktion ruhen wird. Dass bei der Planung der Holzbrücke neben Bauingenieuren auch ein Architekt beteiligt war, erstaunte die Studierenden. Und als am 6. April 2001 der Abt von Einsiedeln die Brücke mit der Bevölkerung feierlich einweihte, waren auch die Studierenden wieder dabei. Ganz nebenbei haben sie wahrgenommen, dass als erstes Lebewesen ein Geissbock von Hurden nach Rapperswil über die Brücke getrieben wurde. Auch Kultur und Brauchtum haben bis heute ihren Platz in diesem wahrlich interdisziplinären Projekt. Am Beispiel Neubau Fussballstadion Hardturm konnten die Studierenden 2002 beobachten, dass die Planung und Realisierung aus mehr als nur Gestaltung und Bauphysik besteht: Anwohner und Umweltgruppierungen wollten angehört werden, Sonnenstunden respektive Schattenwurf werden zum Kernthema, Rentabilität und Mantelnutzung sind zu garantieren. Ein Besuch auf dem Baugelände, heute immer noch eine Brache, zeigt es: Die Beachtung der Interdisziplinarität beim Planen und Bauen hat nichts von ihrer Aktualität eingebüsst.
Erfolgreich im Planerteam
Ein Blick auf Konkurado, die Informationsplattform zu Architektur- und Ingenieurwettbewerben des öffentlichen und privaten Beschaffungswesens, zeigt es: Oft sind es dieselben Bauingenieure, die in siegreichen Planerteams dabei sind. Wie kommt das? Architekten mit Weitblick schätzen das Ingenieurwissen. Erfolgreiche Bauingenieure interessieren sich für gestalterische Fragen. Beide verbinden in ihrem Schaffen die Welten der Architektur und des Konstruierens. Das setzt voraus, dass der Bauingenieur sich nicht als «Rechenknecht » des Architekten versteht und dass der Architekt den Zusammenhang zwischen Funktion und Form erkennt. Beide Berufsgruppen sind sich bewusst, dass sie einen wichtigen Beitrag an unseren gebauten Lebensraum leisten. Erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit setzt die Wertschätzung der jeweils anderen Disziplin als gleichwertig voraus.
Zwei renommierte internationale Preise in Wien und München wurden kürzlich an zwei Schweizer Bauingenieure respektive ihre Büros und ihren ETH-Lehrstuhl vergeben: Der 14. Ingenieurbaupreis Ernst & Sohn (2015) ging an das Ingenieurbüro Walt & Galmarini AG mit dem Projektleiter Wolfram Kübler, dipl. Bauing. FH/SIA, für das Projekt Kaeng Krachan Elefantenpark in Zürich. Der Schweighofer Prize 2015 für das Laubholz-Pilotprojekt House of Natural Resources der ETH Hönggerberg wurde an Prof. Dr. Andrea Frangi, dipl. Bauing. ETH/SIA, verliehen. Beide Preisträger stehen für interdisziplinäre Teams und sind aktive Mitglieder in der Normkommission SIA 265 Holzbau.
Beispiel Normenkommissionen
Beispiel Normenkommissionen des SIA Die über zweitausend Mitglieder der circa zweihundert Normenkommissionen des SIA beweisen es: Unterschiedlich zusammengesetzte, interdisziplinäre Teams aus Architekten, Bauingenieuren, Betriebswirtschaftern, Kulturingenieuren, Raumplanern, Energieplanern, Bauleitern, Umweltnaturwissenschaftlern, Fürsprechern, Juristen, Rechtsanwälten, Informatikern, Energie- & Umwelttechnikern, Geoinformatikern, Betriebsökonomen und weiteren Fachleuten haben grosses Potenzial. Im Team der Normenkommissionen erarbeiten die Fachspezialisten technische und vertragliche SIA-Normen, sie verfassen Merkblätter und Dokumentationen. Dabei bringen sie ihre tägliche Erfahrung aus der Planung, Forschung, Lehre, Industrie und Baupraxis ein. Sie schaffen die SIA-Normen der Zukunft und sind Teil des Kompetenzzentrums des SIA im jeweiligen Fachgebiet. Mit ihrem Input vermitteln sie ihren Berufskollegen Know-how, sie liefern Beiträge zur Aus- und Weiterbildung und leisten dadurch einen Beitrag an die Baukultur. Die Normenkommissionen sind paritätisch und interdisziplinär zusammengesetzt – alle künftigen Anwender der Normen sind vertreten.
Bauplaner in vielen Ländern Europas beneiden uns darum, dass die SIA-Normen kompakt und praxisnah sind und gleichzeitig Freiraum für Eigenständigkeit und Innovation lassen. Im Bereich der europäischen Tragwerksnormen, den sogenannten Eurocodes, wird zurzeit bis 2020 die zweite Generation Eurocodes (EC2G) erarbeitet. Der SIA beteiligt sich zusammen mit Schweizer Experten aktiv daran. Dazu hat er zusammen mit Projektpartnern aus Bund, Wirtschaft und Hochschulen das Projekt Eurocodes 2nd Generation gestartet. Hauptziel von EC2G ist es, das heute umfangreiche, oft zu theoretische und praxisfremde europäische Normenwerk an die kompakten, praxisnahen SIA-Normen heranzuführen. Dazu braucht es in erster Linie Fachkompetenz, gute Vernetzung, strategisches Vorgehen sowie Sozialkompetenz und nicht zu vergessen Mehrsprachigkeit in den jeweiligen Fachgebieten. Wenn es kracht im Planerteam – Baumediation Zeitgemässe Bauten entstehen oft in Hybridbauweise, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Materialien und mit neuen Eigenschaften zur Erfüllung vielseitiger Anforderungen: Ansprechende Gestaltung, Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Wärmeschutz, Schallschutz, Nachhaltigkeit, Behaglichkeit, Funktionalität und Rentabilität sind einige davon. Entsprechend steigt die Anzahl der beizuziehenden Planer, Fachingenieure und Spezialisten beinahe exponentiell an. Um die erfolgreiche Zusammenarbeit zu erleichtern, hat der SIA sowohl technische Normen als auch vertragliche Normen geschaffen. Zu Beginn der Planung eines Bauwerks sollte stets die Maxime gelten: Glaube an das Beste, rechne mit dem Schlimmsten. In diesem Sinn sieht der SIA in seinen Vertragsformularen und Werkverträgen die Möglichkeit vor, dass die Parteien bei Streit eine unabhängige und kompetente Person beiziehen können, deren Aufgabe es ist, zwischen den Parteien zu vermitteln. Mit Hilfe eines Baumediators legen die Parteien das geeignete Verfahren und die einzuhaltenden Regeln schriftlich fest. Und wieder ist ein neuer Baufachmann geschaffen: der Baumediator. Mediation ist dann erfolgreich, wenn die Beteiligten die Lösungsfindung in den eigenen Händen behalten möchten und es ihnen wichtig ist, auch künftig zusammenarbeiten zu können. Zunehmend wird Mediation im Anfangsstadium bei komplexen, interdisziplinären Planungsaufgaben oder Gemeinschaftsprojekten erfolgreich eingesetzt.
Der Interdisziplinarität gehört die Zukunft
In der Schweiz planen Architekten und Bauingenieure in interdisziplinären Teams innovative, zunehmend hybride Bauten aus nachhaltigen Rohstoffen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine Folge der zunehmenden Spezialisierung und ermöglicht, komplexe Lösungen und hochspezialisiertes Fachwissen optimal in Bauprozesse einfliessen zu lassen. Aus der Fragmentierung im Bauwesen entstehen neue Berufsbilder und Fachspezialisten. Die praxisnahen, kompakten SIA-Normen bilden die Leitplanken für zeitgemässes Bauen und sind Bestandteil der Ausbildung von eigenverantwortlichen Architekten und Bauingenieuren. Bei Konflikten und komplexen Fragestellungen im Planungs- & Bauprozess werden mit Hilfe von empathischen Mediatoren Konfliktlösungen für zukunftsfähige Lösungen gefunden. Aus diesen Beiträgen kann Baukultur entstehen.